„ToleranzRäume“ holen alle ins Boot
Facettenreiche Ausstellung bietet vielfältige Ansätze
Julia Fiege und Miriam Schütte (Kolping-Bildungswerk Paderborn, Erste und Vierte von links), Stefan von Zons (Zweiter von links), das Tandem der TGB-Schulsozialarbeit Lena Stecken und Thomas Redeker sowie TGB-Schulleiterin Mareike Gördemann (Zweite von rechts) luden ein, sich in der Indoor-Ausstellung „ToleranzRäume“ neue Impulse zu holen. Foto: Jana Sudhoff
Da hockt ein Hund im Freibad und hinterlässt auf dem Rasen seine Hinterlassenschaften – nur einen Steinwurf vom nächsten Strandtuch entfernt. „Da gehe ich hoch wie ein HB-Männchen“, gesteht Stefan von Zons, politischer Bildner, mit Blick auf die gemalte Szene. Bis ihn ein anderer Betrachter des Wimmelbildes „Tolerant im Gewimmel!?!“ auf ein Detail aufmerksam macht: Der Hund trägt kein Halsband. Ein Streuner? Plötzlich gibt es keinen rücksichtslosen Hundebesitzer mehr, dem man die Schuld geben kann. Ein überraschender Perspektivwechsel: Stattdessen entflammt eine Diskussion, in welcher Verantwortung die Gesellschaft für herrenlose Tiere steht. Das Wimmelbild – Herzstück der Wanderausstellung „ToleranzRäume“ – hält in einer fiktiven Stadt unzählige lebensnahe Situationen bereit. Gelegenheiten, über Toleranz und Intoleranz ins Gespräch oder Grübeln zu kommen: Was toleriere ich? Wo komme ich an meine Grenzen?
Neue Perspektiven auf das Thema Toleranz bekamen jetzt auch die Schulgemeinschaft und Besucher*innen des Theresia-Gerhardinger-Berufskollegs (TGB), wo die Indoor-Ausstellung vier Tage lang Station machte. Ursprünglich konzipiert als Pop-up-Ausstellung, die in farbenfrohen Containern durch Deutschland tourte, animiert die Erlebniswelt „ToleranzRäume“ nun indoor zum Dialog, zum Nachdenken und zum Austausch über Vielfalt, Respekt und Zusammenhalt. In Kooperation mit dem Kolping-Bildungswerk Paderborn ist Stefan von Zons, freiberuflicher politischer Bildner, acht Wochen lang zusammen mit den Kolping-Mitarbeiterinnen Miriam Schütte und Julia Fiege in Schulen und Institutionen unterwegs – neben dem TGB unter anderem im Kolping-Berufsbildungswerk Brakel (17. März bis 3. April). Zusammen haben Kolping und von Zons die Ausstellung vom Verein „Toleranz-Tunnel e.V.“ ausgeliehen.
Material und Ideen* für Lehrkräfte
„Ich habe schon 300 Mal davorgestanden und sehe immer noch was Neues“, sagt Stefan von Zons über das detail- und facettenreiche Wimmelbild. Ob Klimakleber*innen, E-Scooter, Windkraft, Fairplay beim Fußball, Stolpersteine, Coronakrise, Migrationsdebatte, Gleichberechtigung – es gibt viele Alltagssituationen zu entdecken. Auch interaktiv. Dafür liegen zehn Rätsel bereit. Die Möglichkeiten, sich mit der Ausstellung zu beschäftigen – an den Stellwänden oder im Unterricht –, sind vielfältig. Dafür gibt es für die Lehrkräfte auch Material, das zum Download bereitsteht.
„Warst du schon einmal solidarisch?“ oder „Hast du dich schon einmal ausgeschlossen gefühlt? – 16 Impulse, um mit immer neuen Gesprächspartner*innen ins Gespräch zu kommen, gibt es beispielsweise beim „Toleranz-Bingo“. An der „Menschwand“ hat Toleranz verschiedene Gesichter: Porträtiert werden inspirierende Persönlichkeiten, die sich auf ihre eigene Weise für ein besseres Miteinander eingesetzt haben. Wie etwa der deutsche Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit Raúl Krauthausen, die Sängerin Marianne Rosenberg oder der Profifußballer Leon Goretzka. Hier können Schüler*innen beispielsweise das Zitat rauspicken, das sie am meisten anspricht, um es den anderen vorzustellen. Was tue ich, wenn im Bus jemand angegriffen wird? Die „Erste-Hilfe-Wand“ gibt Tipps, wie man sich in solchen Situationen am besten verhält und mit Ungerechtigkeiten umgehen kann. Die Ausstellung zeigt auch die Kehrseite der Toleranz: An der „Trümmerhaufenwand“ rufen 25 Gewaltverbrechen von 1945 bis heute in Erinnerung, wie sich Hass und menschenverachtende Ideologien auswirken. Weitere Elemente der Ausstellung sind die „Kinderrechte“-Wand, die „Reflexionswand“ sowie die „Stimmungswand – Toleranz, was halte ich aus?“
Ohne den erhobenen Zeigefinger
Dass das lateinische Wort „tolerare“ wörtlich „ertragen, aushalten oder erdulden“ bedeutet, erfuhren die Auszubildenden am TGB bei der Auftaktveranstaltung von Stefan von Zons. „Was kann ich aushalten? Diese Frage ist der inhaltliche Anker der ‚ToleranzRäume‘, erklärte er. „Wichtig ist: Es gibt kein richtig oder falsch“, betont Stefan von Zons. „Der erhobene Zeigefinger hat hier nichts verloren.“ Alles dreht sich um die Fragen: „Was ist Toleranz?“, „Was kann ich tolerieren?“, „Wie begegne ich meinem Gegenüber mit Respekt?“, „Wie können wir Konflikte gewaltfrei aushandeln?“ und „Wo liegen die Grenzen der Toleranz?“. Dafür möchte die Ausstellung mit Bildern, Texten, Filmen und interaktiven Elementen einen Raum für Dialog und Reflexion bieten. Einzige Einschränkung: „Wir alle haben eine gemeinsame Basis für Toleranz und die ist im Grundgesetz festgeschrieben. Die Grenzen liegen im Straftatbestand“, betonte Stefan von Zons. „Alles andere kann ausgehandelt werden. Das ist die wichtige Botschaft dieser Ausstellung.“
„ToleranzRäume“ in Brakel
So bunt wie die Ausstellung, so bunt waren beispielsweise auch die Wahrnehmungen der Start-off-Jugendlichen vom Kolping Gutshof. Sie waren im Rahmen einer Exkursion ans TGB gefahren. Wie sich zeigte, prägte jeweils ein breites Spektrum an individuellen Blickwinkeln die Auseinandersetzung mit den einzelnen Stationen. „Die Ausstellung ist ansprechend, kurzweilig und schafft es, viele Jugendliche ins Boot zu holen“, resümierte Anna Mühling vom Hofteam. Entsprechend neugierig, offen und aktiv setzten sich die Jugendlichen mit den „ToleranzRäumen“ auseinander.
„Ich finde beeindruckend, dass hier unterschiedliche Zielgruppen einen Zugang finden“, sagte TGB-Schulleiterin Mareike Gördemann mit Blick auf niedrigschwellige Angebote wie beispielsweise das Betrachten des Wimmelbildes bis hin zu anspruchsvollen wie die differenzierte Beschäftigung mit Diversität und Diversitätsmerkmalen. „Alle konnten etwas damit anfangen“, freute sich Mareike Gördemann. Für ihre Schule bekam sie von Stefan von Zons für die Schulbibliothek obendrein das Escape-Room-Brettspiel „Rätselräume – Auf den Spuren unerzählter Geschichten“ für Gruppen und Schulklassen. Ein digitales Adventure-Game, „Das Ilios Experiment“, kann in den gängigen App-Stores kostenlos heruntergeladen werden.
Wer die Ausstellung am TGB verpasst hat, der kann die „ToleranzRäume“ vom 17. März bis 3. April im Kolping-Berufsbildungswerk Brakel besuchen. Lehrkräfte, die sich vorab (Unterrichts)Ideen holen möchten, können sich den Indoor-Reader herunterladen. Selbstführungsvideos bei YouTube vermitteln einen Vorgeschmack, was die Besucher*innen erwartet.